Natur und geometrie

Zu Beginn der klassischen Moderne spielte die Auseinandersetzung mit der Natur, ihre formale Durchdringung und das Abstrahieren in Linien, Flächen, Formen und Farben eine zentrale Rolle. Theoretische Schriften und nachgelassene Briefe zeigen, wie Paul Klee, Lyonel Feininger, Theodor Kandinsky oder Piet Mondrian ihre abstrakte Kunst aus der intellektuellen Verarbeitung der Wahrnehmung der Natur analytisch entwickelten.

Anders als die Malerei kann die Fotografie nur festhalten, was durch die Linse des Fotoapparates zu sehen ist. Mich interessiert deshalb: Wie ist es mit den Werkzeugen der Fototechnik möglich, abstrakte Bilder von natürlichen Objekten zu erzeugen, geometrische Formen herauszuarbeiten oder abstrakte Farb- und Form-Kompositionen unter Ausnutzung von Linsentechnik und Lichteinfall zu gestalten.

Die Brücke zwischen der Natur und ihrer fotografischen Abstraktion bildet die Geometrie. Ihre Grundformen und theoretischen Axiome sind von der Wahrnehmung der Natur inspiriert: Linien und ihre Parallelen, Winkel, Kurven, Flächen sowie auch Kreise, Wellen oder Kugeln lassen sich fotografisch sichtbar machen und isolieren. Spiegelungen, Reflexionen und Lichtbrechungen erweisen sich als komplexes Gestaltungsmittel in der Fotografie.

Arbeiten mit material

Ein anderer Weg, fotografische Abstraktionen zu erzeugen, ist der Einsatz von transparenten Materialien, die Gegenständliches verfremden. Dazu habe ich verschiedene Möglichkeiten erkundet, deren Potential bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist. Zwei Wege stelle ich hier vor:

Eine Methode nenne ich die „Hinter-Glas-Fotografie“: Sie ermöglicht es, eine Fülle von sehr unterschiedlichen Effekten zu erzeugen. Gegenständliches lässt sich verformen oder in seinen Umrissen vollständig auflösen. Dieser Effekt kann soweit verstärkt werden, dass im Bild nur noch Farb- und Flächenkompositionen erscheinen. Ergebnisse dieser Arbeiten sind einige der abstrakten Farbkompositionen, aber auch abstrakte Blumen-Fotografien.

Eine zweite Methode ist die „Hinter-Stoff-Fotografie“: Sie führt zu ganz anderen Effekten. Das Gegenständliche bleibt dabei stärker erhalten, aber die Objekte werden mit einem Geheimnis umgeben, ihre Formen verzerren oder treten nur bedingt in Erscheinung.  Bisher habe ich diese Methode vor allem für Still-Leben genutzt.

Reflexionen

Das Arbeiten mit Materialien hat mich zu weiteren Versuchen geführt, Licht- und Farbspiele auf verschiedenen reflektierenden Flächen zu erkunden. Bei diesen Arbeiten lässt sich beobachten, wie unterschiedliche Materialoberflächen Licht und Farben sehr verschieden auflösen, je nachdem, ob die Oberfläche glatt oder rau, flach oder gebogen, matt oder glänzend bzw. kristallin oder lichtundurchlässig ist, ob sie eine Oberflächenstruktur hat, die durch Prägung, Kristallschliff, Noppen oder anderes geformt ist. Wenn zusätzlich zur Lichtreflexion noch Farbspiegelungen hinzukommen, lassen sich überraschende Bilder gestalten. Wasser, Stoffe, Papier oder andere Materialien setze ich manchmal ergänzend mit ein.

Aus diesen Versuchen sind Serien entstanden wie die „Fiktiven Landschaften“, nicht gegenständliche Bilder, die ich unter „Glaskunst“ einordne oder abstrakte Farbkompositionen, die aus dem Zusammenspiel von Farb- und Lichtreflexionen mit Materialeffekten entstehen.

Im licht der schatten

Ein anderes Experimentierfeld ist für mich das Arbeiten mit Schatten. Durch die starken Hell-Dunkel-Kontraste laden sie zu klarer und abstrakter Gestaltung ein. Ich erzeuge Schatten zum Teil gezielt auf Papier oder anderen Materialien, nutze aber natürlich auch die Schattenbildungen in der Natur. In beiden Fällen ist es interessant zu beobachten, dass Schatten nicht nur grau und schwarz sind. Sie werden bei einer bestimmten Lichtbrechung blau, können aber unter bestimmten Bedingungen auch die Farben des gespiegelten Materials oder der Umgebung annehmen und wiedergeben. Diese Phänomene hat schon Johann Wolfgang von Goethe beobachtet und beschrieben.

Schatten sind ein Begleitphänomen des Lichts. Schatten haben in der Regel einen wirklich schwarzen Kernschatten, aber noch leicht belichtete Ränder, die Farben annehmen und wiedergeben können. Wenn zwei oder mehrere Lichtquellen vorhanden sind, macht die weitere Lichtquelle die Farbe im Schatten sichtbar.

Durch Nachbelichtungen lassen sich diese Erscheinungen deutlicher herausarbeiten als sie mit dem bloßen Auge wahrnehmbar sind. Das Fotomaterial enthält oft erstaunlich viel Farbe und das deutet darauf hin, dass es sich nicht nur um Wahrnehmungen handelt, sondern dass hier ein physikalischer Tatbestand vorliegt.